1998 "Arsen und Spitzenhäubchen" (Kesselring)
Unsterbliche "altmodische Kriminalklamotte" - Arsen und Spitzenhäubchen
Das hat er sicher nicht geahnt - einer der Großen des internationalen Films, den manche noch über Chaplin und andere stellen wollten, hat noch erleben können bzw. müssen, daß das Massenpublikum all seine prätentiösen Filme, die er in den dreißiger und vierziger Jahren in den USA gedreht hat, zu vergessen bereit war - bis auf die 1941 in wenigen Wochen abgedrehte, von ihm selbst despektierlich "altmodische Kriminalklamotte" genannte Verfilmung des von Joseph Kesselring verfaßten Theaterstückes "Arsenic and Old Lace" - Frank Capra. Gleichwohl versammelte Capra vor seiner Kamera einige Stars des US-Films, allen voran Cary Grant, daneben bekannte Akteure wie Jack Carson oder den vor den Nazis geflüchteten Peter Lorre, seit Fritz Langs Meisterwerk "M - eine Stadt sucht einen Mörder" international bekannt und renommiert. Die beiden weiblichen Stars der New Yorker Theaterpremiere (am 18. 8. 1941 im Fulton Theatre) des Stückes , Josephine Hull (Abby) und Jean Adair (Martha), sind durch Capras Film ebenso unsterblich geworden wie John Alexander, der sowohl auf der Bühne als auch im Filmstudio den Teddy Brewster spielte. Übrigens durfte der Film erst einige Zeit nach seiner Fertigstellung in die Kinos, da das Bühnenstück recht erfolgreich lief und sein Erfolg nicht beeinträchtigt werden sollte.
Wer ist Boris Karloff?
Einer der zahlreichen witzigen Einfälle Kesselrings war es, den kriminellen und geisteskranken Jonathan als vom Pfuscher und Scharlatan Dr. Einstein (bei der Theaterpremiere wurde diese - deutsche- Akzentrolle übrigens nicht von Lorre, sondern von Edgar Strehli gespielt) entstelltes Monster zu präsentieren. Im Film wird diese Rolle von Raymond Massey gespielt ( bekannt als "Vater" von James Dean in "East of Eden" ); Massey war allerdings nicht die Premierenbesetzung; statt seiner stand kein geringerer als Boris Karloff als Jonathan auf der Bühne, jener englische Schauspieler, der als erster Darsteller des Monsters in den Frankensteinfilmen zu nachhaltigem Ruhm kam. Die in den frühen Nachkriegsjahren synchronisierte deutsche Fassung von "Arsen und Spitzenhäubchen" freilich wandelte Kesselrings in den Filmtext übernommenes: " Der sieht ja aus wie Boris Karloff " - diese über Jonathan gemachte Polzistenäußerung ist ein wesentliches darmaturgisches movens der Handlung - in: "Der sieht aus wie Frankenstein " um - verständlich, weil man glaubte, daß dem deutschen Kinopublikum Karloff nicht genügend bekannt war (und heute wohl auch nicht mehr ist); gleichwohl falsch, da Frankenstein ja nicht der Name des Monsters, sonders seines Schöpfers, eben jenes Dr. Frankenstein, war. Im englischen Theater - und Filmtext war natürlich die über Jonathan-Karloff gemachte Äußerung einer der besonderen Akzente.
Der Stoff, aus dem unvergängliche Komödien sind
Zurück zu Capras sicher nicht ganz so ernst gemeintem Diktum. Etwas mehr muß an Stück und Film schon dran sein - sonst wäre es wohl kaum erklärlich, daß "Arsen und Spitzenhäubchen" nach 60 Jahren immer noch in Programmkinos, regelmäßig im Fernsehen und als Theaterstück immer wieder auf der Bühne zu sehen ist.
Dazu gehört sicher die Tatsache, daß auch Kesselrings Stück - wie Komödien dies zu tun pflegen - ein amüsantes Spiel ist; ein Spiel mit Schein und Sein, ein verwirrendes Jonglieren mit vertrauten Erscheinungen und Begriffen : von Irrtum und Wahrheit, Verrücktheit und Normalität, Echt und Falsch, "Mord" und / versus " Wohltätigkeiten " (Abby Brewster); ein Feuerwerk von Verwechseln, Aufdecken, Verlieren und Wiederfinden. Einige Jahrzehnte später wird Dürrenmatt dieses Spiel in seinen "Physikern" in einen anderen Kosmos führen, auf eine schwarz - makabre Spitze treiben. Kesselrings Zuschauern dagegen bleibt das Lachen nicht im Halse stecken - allerdings unterscheidet sich das Ende des Theaterstückes signifikant von Capras Filmschluß - lassen Sie sich überraschen! Darüber hinaus ist das Stück natürlich eine witzige Persiflage auf ein - oben schon erwähntes- berühmtes Hollywodd - Filmgenre - den Horrorfilm; alle notwenigen Attribute sind dabei: der unschuldig - sympathische, nichtsahnende Held, hinter dessen Rücken sich Bedrohliches zusammenbraut; zwei liebenswerte alte Damen, deren Glück es ist, den Neffen mit seiner Braut zusammen- und andere der Ewigkeit näherzubringen; ein Arzt und Scharlatan, der die Geister, das schaurig entstellte Monster, die er rief, kaum noch loswird; witzig der Einfall des Autors, der Arzt habe Jonathan nach dem Besuch eines Boris- Karloff-Filmes im betrunkenen Zustand operiert; wenig argwöhnische, im kriminellen Chaos kaum handlungsfähige Polizeibeamte; dazu finstere Keller, wehende Fenstervorhänge, geheimnisvolle Truhen... Bedenkt man, daß das Stück zu Beginn der vierziger Jahre bei New York spielt, sieht man die die Trompete schwenkende Teddy Roosevelt-Karikatur, hört man die Äußerungen der am Kaffeetisch zu Beginn des Stückes versammelten Personen, mag man angesichts der damaligen aktuellen Situation in Europa und den USA auch einen politischen Kontext herstellen. Aber auch der unvoreingenommene Betrachter wird immer wieder in der hinreißenden Kriminalkomödie hinreichend Stoff zu befreiendem Lachen finden - und dies ist für die Theater AG am Gymnasium Großburgwedel der wesentliche Grund, weshalb sich einmal mehr der Vorhang zu einem weiteren Besuch bei Abby und Martha Brewster, den reizenden Giftmischerinnen in ihren Spitzenhäubchen, heben soll.
In diesem Sinne - Zum Wohl!
Wolfgang Grüne