Effi Briest

Fontanes erzählerisches Alterswerk gilt zu Recht als etwas Wunderbares und Bestaunenswertes. Ein Autor, der als Journalist, Kritiker, Autor unsterblicher Balladen („Herr von Ribbeck auf Ribbeck in Havelland“ ) schon durchaus seine Meriten hatte, schenkt der Welt im Herbst seines Lebens einen bemerkenswerten Roman nach dem anderen: „Frau Jenny Treibel“, „Vor dem Sturm“, die Novelle „Schach von Wuthenow“ – nur um einige zu nennen. Mit seinem „Stechlin“ erreicht Fontane den Gipfel der europäischen Erzählkunst im 19. Jahrhundert, mit seiner „Effi Briest“ aber auch die Herzen ganzer Leser-Generationen.

Sprichwörtlich ist des alten Briest Ausspruch: „Das ist ein weites Feld“, bekannt ist die Lebensgeschichte Effis. Sie beginnt im Roman mit einer der meisterhaften Roman- Einleitungen Fontanes mit der Beschreibung des elterlichen Gutes in Hohen-Cremmen (in der Heftmitte in Auszügen nachzulesen) und mit der Schilderung dessen, wie Baron von Innstetten um Effi bei ihren Eltern wirbt und sich mit ihr verlobt. Effi zieht als Frau von Innstetten in das kleine Kessin, wo ihr Mann als Landrat an seiner politischen und gesellschaftlichen Karriere arbeitet – und seine hübsche junge Frau soll ihm, so sagt er selbst, dazu verhelfen, es bis in den Reichstag und nach Berlin zu bringen.

Wie mit einem feinen Psychographen beschreibt Fontane nicht nur die äußere Handlung, die sich in fataler Weise weiterentwickelt, sondern auch das Gefühlsleben seiner Heldin: Ihre Ängste (Angst und Furcht sind ein wesentliches Motiv in Effis Gefühlswelt, für das Fontane zahlreiche poetische Zeichnungen und Bildsymbole findet), ihre Einsamkeit, ihre Unbehaustheit, aber auch Momente des Glücks, der Zuneigung, auch der Gefährdungen. In allem und durch alles dies hindurch führt der Autor seine Leser kraft einer meisterhaft gestalteten Erzählerstimme, die mit dem typisch feinen Fontaneschen Humor (nicht nur in der Findung einiger Protagonisten-Namen, der Schilderung von z. T. auch skurrilen Eigenschaften und Äußerungsformen des Preußischen) und seiner ironischen, aber nie verletzenden Distanz, freilich auch mit Anteilnahme („Arme Effi“) den Weg seiner Heldin darstellt – wobei er – ähnlich wie etwa Tolstoj in seinem Eheroman „Anna Karenina“ - sich davor hütet, einseitig und monokausal Schuldzuweisungen vorzunehmen. Karenin wie Innstetten sind die eigentlich tragischen Figuren, die ihre Frauen verstoßen zu müssen glauben, obwohl sie sie lieben. Innstetten sieht das mit deutlicher Klarheit und vermag sich dennoch nicht diesem „Gesellschafts-Etwas“, diesem „Götzen“, diesem „Ehrenkultus“ zu entziehen.

„Effi Briest“ als Theaterstück

Fontanes Roman ist schon einige Male verfilmt worden, und es gibt eine große Zahl von Bühnenfassungen. Prinzipiell steht eine jede solcher Dramatisierungen vor dem Problem, dass narrative und dramatische Strukturen häufig in einem widersprüchlichen Verhältnis zueinander stehen. Dies gilt natürlich nicht für dialogische oder dramenhafte Strukturen der Erzählwerke. Diese sind ohne größere Eingriffe (von notwendigen Straffungen abgesehen) in das Stück/den Film überführbar. Passagen hingegen, die große Raum- und Zeitsprünge beschreiben, bereiten da schon eher Probleme. Für Autoren wie Fontane oder Thomas Mann gibt es noch eine weitere Schwierigkeit. Die Rolle des Erzählers (nicht identisch mit dem Autor) ist in ihren Werken ein wesentliches Element des ästhetischen Konzepts – so etwa in den ironisch gebrochenen Erzählerkommentaren. Verfilmungen lösen dieses Problem oft mit den sogenannten Off-Texten, von hochqualifizierten Schauspielern gesprochen. Auf der Bühne ist das eine mögliche, aber nicht die einzige Lösung. Die dominante Rolle des Erzählers - obwohl der Roman von Fontane eigentlich eher in einer neutraleren Perspektive (Personaler Erzähler) dargeboten wird - ist für die neue Dramatisierung, die eigens für diese Produktion der Theater-AG angefertigt worden ist, Anlass und Grund, diese Erzählerstimme in eine auf der Bühne auftretende Erzählerfigur zu transformieren, der es nicht nur aufgegeben ist, die Zuschauer über Zeitsprünge, Raumwechsel etc. zu informieren. Der unverwechselbare Fontanesche Ton, die Stimme dieser Erzählinstanz ist ein markantes konstituierendes Element des Romanganzen und als solches unverzichtbar. Es war uns darum zu tun, diesen Erzähler in gewissen Grenzen außerdem auch am Rand des Geschehens zu beteiligen, ihn in der einen oder anderen Szene gleichsam der von ihm ausgebreiteten Handlung zusehen zu lassen (und ihm dabei zuzusehen), aber nicht so weit episch zu entwickeln, dass die Bühnenfiguren (wie bei Brecht) ihre identifikationsstiftende Wirkung einbüßen würden. Auf der anderen Seite müssen Handlungselemente aus dramaturgischen Gründen an anderen Schauplätzen angesiedelt werden. So lernt die Roman-Effi Roswitha tatsächlich auf dem Kessiner Friedhof kennen. Auf der Bühne der Burgwedeler Fassung trifft Effi die gute Seele Roswitha hingegen im landrätlichen Hause (nach der Beerdigung der Witwe Rode) das erste Mal. Im Interesse einer adäquaten Vorstellungslänge müssen Roman-Figuren weichen. Marietta Tripelli beispielsweise tritt in unserer Dramatisierung nicht persönlich auf – freilich wird sie in den Gesprächen der dramatis personae indirekt dann doch erwähnt. Erzählpassagen, die im Roman sich über Seiten hinziehen, müssen – so sie für das Verständnis der Personen und deren Motive wichtig sind – gestrafft werden- Dies betrifft z. B. die Szene im Forsthaus, die der fatalen Schlittenfahrt mit Crampas vorausgeht. Oder auch diese Schlittenfahrt! Die Burgwedeler „Effi-Briest“ -Fassung arbeitet hier mit Sequenzen und Bildern, die der Dezenz und dem reinen Andeutungscharakter des Fontaneschen Erzählens entsprechen sollen. Andere Passagen hingegen dulden kaum Straffung oder Raffung – und so erstreckt sich eines der wichtigsten Gespräche des Romans, der entscheidende Dialog zwischen Wüllersdorf und Innstetten, nahezu auf die Originallänge.

In jedem Fall aber soll die unverwechselbare Sprache Fontanes in vielen ihrer Schattierungen dem Burgwedeler Publikum präsentiert werden. Ein schöner Lohn für alle Beteiligten wird es sein, wenn der eine oder andere Besucher unserer Vorstellungen dann tatsächlich zum Roman greift, um der Vielstimmigkeit und Vielgestaltigkeit des Buches Schattierungen und Nuancen abzulauschen, die eine Dramatisierung des Stoffes nicht bieten kann.

Wolfgang Grüne

Elisabeth von Ardenne: Das Vorbild von Fontanes Effi

Das schicksalhafte, tragische Leben der Elisabeth von Ardenne, geb. Freiin v. Plotho, war das reale Vorbild für Effi Briest, jener Frauenfigur, die durch Fontanes Erzählkunst zu einer unsterblichen literarischen Heldin wurde.
Tante Else, wie sie liebevoll von Neffen und Nichten unserer Familie genannt wurde, geboren im Jahr 1853, verlebte eine glückliche Jugend in ihrem Elternhaus Schloß Zerben im Jerichower Land an der Elbe.
Fontane erfuhr in Berliner Literatenkreisen vom Schicksal dieser bemerkenswerten Frau. Anders freilich als in seinem Roman starb die wahre „Effi“ nicht an gebrochenem Herzen wenige Jahre nach der Scheidung. Elisabeth von Ardenne, deren Mann seinen Rivalen Emil Hartwich (Crampas) im Duell getötet hatte, überwand die Schwierigkeiten, ausgestoßen aus der Familie zu sein, ihre Kinder nicht sehen zu dürfen. Sie wurde Krankenschwester und widmete sich oft sehr verantwortungsvollen, schwierigen Aufgaben. Noch im 2. Weltkrieg - über 90jährig – pflegte sie schwerstverwundete, sterbende Soldaten und starb im Alter von fast 100 Jahren 1952 in Lindau am Bodensee.
Auf seine besondere Bitte hin erhielt ihr Enkel Manfred von Ardenne, selbst ein Wissenschaftler von Weltruf, der nach dem 2. Krieg in Dresden lebte, von Elisabeth jene Briefe, die Hartwich ihr geschrieben hatte und deren Entdeckung durch Armand von Ardenne zu dem Duell geführt hatte. Manfred war seinerzeit der einzige – so empfand es Elisabeth – der authentisches und tiefes Interesse an der Lebensgeschichte und dem Schicksal seiner Großmutter gezeigt hatte.
Mein Mann und ich hatten mehrere Male, mit Manfred von Ardenne zusammenzutreffen, und wir erlebten ihn stets als überaus beeindruckende Persönlichkeit.
Die Wurzeln der Familie von Plotho reichen über 1000 Jahre zurück. Heute gibt es noch zwei Linien dieses alten Adelsgeschlechtes: Die Zerbener (zu denen Elisabeth gehörte), und die Lüttgenziatzer (bei Burg/Magdeburg), zu der wir gehören. Die Familie hat über diese Linien hinweg (die sich im 17. Jahrhundert teilten) noch heute einen engen familiären Zusammenhalt. Wir empfinden uns als eine große Familie von Cousins und Cousinen.
Die v. Plothos, besonders die Familie meines Mannes, haben alles Hab und Gut 1945 in Lüttgenziatz verloren und sind nach verschiedenen Lebensstationen 1972 hier nach Großburgwedel gekommen, wo dann unsere beiden Kinder im Gymnasium das Abitur machten. Somit gibt es eine besondere Verbindung zum Gymnasium Großburgwedel. Ich freue mich auf die Aufführung von „Effi Briest“, die die Theater-AG des Gymnasiums wieder sicher beeindruckend spielen wird.
Der Leiter der AG bat mich um diese kleine Familienchronik für das Programmheft.
Lisa v. Plotho