Figaros toller Tag

Beaumarchais’ Ruhm aus Mozarts Händen

Man stelle sich vor: Mozart hat Lorenzo da Ponte nie kennen gelernt. Beide haben Beaumarchais’ herrliche Komödie nicht kennen gelernt. Hätten wir dann das wunderbare Stück „Der tolle Tag oder Figaros Hochzeit“ je kennen gelernt? Doch diese Glücksfälle sind alle eingetreten. Auch ein weiterer, von dem weiter unten noch die Rede sein wird.

Pierre Augustin Caron de Beaumarchais, nicht nur als Literat, sondern auch in anderen Berufen durchaus umtriebig, war zu seiner Zeit eine Größe der französischen Komödie – eines Ranges mit Molière; Beaumarchais’ Leben war ebenso bewegt und intrigenreich wie die Plots seiner Stücke, und in jedem Fall waren seine Bühnenfiguren von derartig scharfer politischer Qualität, dass der Figaro einen Skandal ersten Ranges und 1784 ein Verbot der Aufführung in Paris provoziert hatte. Auch eine in Wien geplante Inszenierung des Stückes fand 1785 nicht das placet des Hofes.

Nicht nur die scharfen Angriffe auf die Defizite der höfischen Gesellschaft (etwa im Vorwurf gegen Nepotismus, Feudalwillkür, sexuelle Ausbeutung etc.) waren das Unerhörte an dieser Komödie, sondern auch die Präsentation eines neuen Heldentypus’, der daneben auch die Romane dieser neuen Zeit zu bevölkern begann: Der sich emanzipierende Bürger, der versucht, die Fesseln des feudalen Systems zu sprengen, der wie Ferdinand in Schillers „Kabale und Liebe“ losstürmt, um die Unterschiede einzuebnen, das intrigante Herrschaftssystem zu erschüttern. „Ich heiße Miller“ – so klingt aus dem Munde einer anderen zentralen Figur desselben Stückes das selbstbewusste Bekenntnis des Bürgers. Übrigens eines Musikers. Hier – so etwa bei Mozart - sind wir beim bürgerlichen Typus des sich neu definierenden Künstlers, der zum Entsetzen des Vaters Bindungen und Fesseln löst, ökonomische Risiken auf sich nimmt, um das Komponieren, andere das Schreiben oder Malen zum Brotberuf zu machen. Freilich geschieht das nicht überall, nicht überall gleichzeitig - Haydn etwa oder auch Autoren wie Goethe leben nicht etwa ausschließlich von dem, was freie künstlerische Tätigkeit abwirft.

 

Figaro – der Bürger als neuer dramatischer Held

So auch Figaro – der in Diensten des Grafen Almaviva steht, aber dennoch ein selbstbewusster Vertreter des sich emanzipierenden dritten Standes ist. Napoleons Diktum „La révolution déja en action“ über Beaumarchais’ Stück illustriert sehr deutlich, welche gesellschaftlichen Kräfte 1789 in Paris die Revolution beginnen sollten. Der Figaro Beaumarchais’ kämpft noch nicht mit der Waffe gegen den Feudalherren, aber mit den ätzenden Mitteln der Intrige, die er bis zur Meisterschaft treibt. Dem zentralen Angriff auf die Selbstbestimmung des bürgerlichen Individuums, den sexuellen Ausbeutungsversuchen des Grafen, der Suzanne (Figaros Braut) sich mit Geld und Versprechungen gefügig machen will, begegnet Figaro mit dem Willen, diese Herausforderung anzunehmen. So entsteht der Gedanke der Zentralintrige, die den Grafen schachmatt setzen soll und die er der Gräfin und seiner Braut zu Beginn des zweiten Aktes darlegt: „(…) um ebenso methodisch vorzugehen wie der Herr Graf, müssen wir zunächst sein Verlangen nach unserem Besitz etwas dämpfen, indem wir ihn wegen des seinen beunruhigen (…). Ich habe [ihm] ein anonymes Briefchen zugespielt, indem der gnädige Herr lesen kann, dass ein Verehrer heute während des Balles versuchen wird, Sie [die Gräfin, Almavivas Ehefrau] zu sprechen (…) [Das wird ihn dazu bringen], beunruhigt um seine Dame herumzustreichen, statt wie geplant sich mit der meinen zu vergnügen. (…) Du [Suzanne] lässt dem gnädigen Herrn [gleichzeitig] ausrichten, dass du bei Einbruch der Nacht in den Park kommst (…). Ich lasse jemanden ein Kleid von Suzanne überziehen. Kann der Graf, wenn er beim Rendezvous von uns überrascht wird, dann noch [mir, Figaro, die Hochzeit mit Suzanne verbauen]?“

Soweit Figaros Plan. Turbulent läuft nun dieses Spiel um Betrug, Intrige, Selbstbehauptung, Liebe, Opferbereitschaft und Witz ab – so turbulent, dass selbst Figaro im fünften Akt für kurze Zeit den Überblick verliert und nicht mehr weiß, ob er es im dunklen Park nun mit der Gräfin oder Suzanne zu tun hat. Das Ende ist bemerkenswert und in seiner Brisanz für die damalige Zeit kaum zu unterschätzen – der Vertreter des Adels gerät in die Defensive und braucht die Hand des Bürgers, um wieder ins rechte Gleis zu kommen.

Figaro, Susanna, Almaviva und die anderen Unsterblichen der Opernbühne

Zurück zu Mozart und seinem genialen Librettisten da Ponte. Beaumarchais’ dramatis personae wären heutzutage wohl eher ein Fall für das interessierte Fachpublikum – hätten sie nicht auf den Flügeln der Musik Rossinis („Der Barbier von Sevilla“, Uraufführung der Oper im Jahre 1816, quasi die Vorgeschichte zum Figaro, in der all die vertrauten Figuren uns schon begegnen und in der Figaro dem Grafen zu Rosina, seiner Ehefrau in „Der tolle Tag…“ verhilft, indem er sie dem Dr. Bartholo abspenstig macht) und eben Mozarts das Tor zur Unsterblichkeit aufgestoßen.

Da Ponte strafft und kürzt für sein Libretto die Handlung, reduziert das aufwendige Personal um 25 Prozent und stellt in den Mittelpunkt der Handlung die vier Paare: Figaro-Susanna, Graf-Gräfin, Cherubino (dessen Part deutlich aufgewertet wird) – Barbarina (bei Beaumarchais Fanchette), Bartolo – Marcellina. Sie sind umgeben von für ein höfisches (Intrigen-) Spiel typischen Akteure: u. a. sind dies Basilio (Musiklehrer Susannas, der im Auftrag des Grafen diese beeinflussen soll), der tollpatschige Gärtner Antonio, der korrupte Richter und andere.

Mozarts Meisterschaft hat es vermocht, diesen Figuren eine jeweils ganz eigene, psychologisch sehr individuell gezeichnete Sprache zu verleihen, die die zentralen Züge der Figuren Beau-marchais’ kongenial ausmalt, ja zum Teil erst transparent macht.

Der Burgwedeler Figaro

Ungekürzt, ohne Eingriffe ist Beaumarchais’ Stück heute nur schwer aufführbar. Allein ein wichtiger Monolog Figaros im fünften Akt geht über vier Druckseiten. Der Wunsch, dem Zuschauer der Figaro-Inszenierung in Großburgwedel den zu Unrecht von vielen vergessenen Beaumarchais zu präsentieren, geht einher mit der Überlegung, in manchen Zügen diesen mit dem Figaro Mozarts in Beziehung zu setzen. Dies geschieht einerseits dadurch, dass notwendige Striche sich u. a. auch am Libretto orientieren; andererseits soll dem Zuschauer das Wiedererkennen und die Beziehung zu da Ponte/Mozart ermöglicht oder erleichtert werden, indem an zentralen Stellen des Stückes Dialoge oder an Rezitative erinnernde Reflexions- oder Entscheidungsmonologe um das entsprechende musikalische Material ergänzt werden, so etwa wenn Beaumarchais’ Figaro sich vorstellt, mit dem Grafen ein Tänzchen zu wagen (heute würde man vermutlich sagen: Mit ihm Schlitten zu fahren). Auch die von Beaumarchais abweichenden Arrangements der Aktschlüsse 2, 3 und 4 nehmen in ihren Stimmfugen und in der Platzierung der Akteure musikalisches bzw. opernhaftes Vokabular mit auf. Dient dies dem Ziel, die teilweise etwas matten Aktschlüsse gleichsam dynamischer und spektakulärer zu machen, soll die Verwendung der italienischen Namen den Brückenschlag zu Mozart unterstreichen. Um das Publikum auf diese Art der Inszenierung vorzubereiten, erklingen zu Beginn auch die Takte der Reprise aus Mozarts großartiger Ouvertüre.

Dennoch erhebt der Burgwedeler Figaro – sit venia verbo – den Anspruch, zunächst und in erster Linie den Zuschauer mit Beaumarchais’ „Revolution in Aktion“ bekannt zu machen.

Wolfgang Grüne