Charles Dickens' unsterbliche Weihnachtsgeschichte: A Christmas Carol
Fröhliche Weihnachten! Zum Henker mit den fröhlichen Weihnachten! Was ist Weihnachten denn schon anderes als eine Zeit da man ohne Geld in der Tasche Rechnungen bezahlen soll? Eine Zeit, da man sich um ein Jahr älter und um keine Stunde reicher fühlt?
Scrooge in Dickens' A Christmas Carol
Dickens' Weihnachtsmärchen eine Tradition
Dickens´ kleines Buch -klein vom Umfang, gemessen an anderen seiner Erzählungen -ist Tradition geworden und hat Traditionen geformt. Alljährlich zur Weihnachtszeit wird dieses kleine Buch verschenkt und gelesen. Die Geschichte ist im Rundfunk zu hören, wird auf Bühnen und in Fernsehinszenierungen aufgeführt. Das alles ohne Anzeichen, daß man dieser Geschichte auch überdrüssig werden könnte. Die Geschichte von Ebenezer Scrooge, der erst durch die Geister, die sein verstorbener Partner Marley ihm schickt, zur Auseinandersetzung mit seinem Leben gebracht wird, hat ebenso wie andere Weihnachtsgeschichten von Charles Dickens Traditionen ins Leben gerufen, die das große Fest ankündigen. So begibt sich jedes Jahr am Samstag vor dem Weihnachtsfest in Sutfolk eine Kutsche aus dem 19. Jahrhundert mit vier Passagieren in Kleidung aus jener Zeit auf den Weg durch verschiedene Dörfer, um Geld für wohltätige Zwecke zu sammeln. Organisiert wird die Fahrt, um den wahren "Dickensian" Geist der Weihnacht zu bewahren. Selbst die Vorstellungen von einer "weißen Weihnacht', als Wunsch von vielen Menschen -allen Wetteraufzeichnungen zum Trotz -gehegt und auf allen erdenklichen Weihnachtsdekorationen wachgehalten, sind auch den Weihnachtsgeschichten Dickens' zuzuschreiben. Die "weißen" Träume werden wach, wenn er Scrooges Weg in die Vergangenheit schildert: ...Kaum waren diese Worte gesprochen, so schritten sie durch die Mauer und standen auf einer offenen Landstraße mit Feldern zu beiden Seiten; die Stadt war gänzlich verschwunden keine Spur war von ihr zu sehen; Dunkel und Nebel waren mit ihr entwichen ein heller kalter Wintertag lag über schneebedecktem Gefilde. Romantik allein aber erklärt nicht die Faszination, die schon seit so langer Zeit von dieser Erzählung, vor rund 150 Jahren verfaßt, ausging und noch ausgeht.
Von Güte und Wärme in einer kalten Welt
Dann erhob Bob sein Glas: "Fröhliche Weihnachten uns allen, meine Lieben. Gott sei mit uns!" Die ganze Familie stimmte mit froher Andacht in diesen Wunsch ein. "Gott segne uns, einen jeden von uns", sagte Tiny Tim als letzter. Die menschliche Wärme, die Dickens uns am Beispiel der Familie Bob Cratchits vorführt, war damals wie heute keine Selbstverständlichkeit. Das von Scrooge vertretene ökonomische Prinzip - Zeit ist Geld und Feiern Verschwendung -bringt ebenso wie die Individualisierung innerhalb einer Gesellschaft mit sich, daß oft nur noch der Verfolgung eigener Interessen gehuldigt wird. Scrooge, für den Weihnachten " Humbug" ist, weil ihm die Gefühle und Gebräuche des Festes nichts mehr bedeuten, erhält von seinem an die Ketten früherer Untaten gefesselten Partner Marley noch eine Chance: Drei Geister führen ihn durch seine Vergangenheit, seine Gegenwart, seine Zukunft; sie gemahnen ihn an die verschenkten Gelegenheiten, sein Leben zu einem sinnvollen zu machen. Sie konfrontieren ihn mit sich selbst auf dem Wege seiner moralischen Zerstörung: Er begegnet auf dieser Zeitreise dem Kind Ebenezer, dem jungen Mann - und damit dem liebenden und unschuldigen Gegenbild jenes hartherzigen Geldraffers, der noch nicht einmal die Zeit aufbringt, seinem einzigen Freund und Geschäftspartner Jacob Marley das letzte Geleit zu geben. Er begegnet seinem kalten Rationalismus, dem Echo seiner grausamen Aussprüche und Ansprüche. Und er begegnet in der Konfrontation mit dem dritten Geist dem, was die Zukunft für ihn bereithält. Dem Leser der Erzählung Dickens´,der diese reizvolle Reise in Scrooges Vergangenheit mitmacht, vermittelt sich eine Ahnung von einer lieblosen und Geborgenheit verweigernden Kindheit, die mit ein Auslöser für die Verschüttung von Scrooges besserem Selbst ist.
Charles Dickens – mehr Weihnachtsmann als Karl Marx
Dickens hat darauf vertraut, daß seine Weihnachtsgeschichten -Ein Weihnachtsmärchen im besonderen - die rationalen Widerstände beim Leser brechen, daß sie den verschütteten kindlichen Glauben an heimische Geborgenheit, an geheimnisvolle Verwandlungen und an gute Geister wecken, die das "Unmögliche" über Nacht möglich machen. Lebte Dickens noch, würde er sich wohl wünschen, daß sich die Zuschauer von den "Geistern" der heutigen Aufführung so verzaubern lassen, daß sie sich seinen Worten anschließen könnten:
Ich bin Geistern gegenüber vollkommen unvoreingenommen und lasse mich durchaus von ihnen beeindrucken – Ich behaupte nicht im mindesten, daß es so etwas nicht gibt.
Karin Strecker