Friedrich Schiller: Maria Stuart
1. Die historische Seite
Der englische König Heinrich VIII. (Regierungszeit 1509-1547) veränderte nicht nur England, als er sich von der katholischen Kirche lossagte und die anglikanische Kirche gründete. Er legte auch den Grundstein für den Zwist zwischen der englischen Königin Elizabeth (1558-1603) und ihrer Nichte, der schottischen Königin Maria Stuart (1561-1567), die beide Nachkommen Heinrichs VII. (1485-1509) waren und damit als Nachfolger Heinrichs VIII. in Frage kamen. Dieser hatte sich bekanntlich mit der katholischen Kirche überworfen, um sich von seiner ersten Frau scheiden lassen zu können, die ihm keinen männlichen Thronfolger schenkte. Trotz sechs geschlossener Ehen hinterließ Heinrich VIII. übrigens nur einen unmündigen, kränkelnden Sohn, Eduard (VI. (1547-1553), der bereits 6 Jahre später als Fünfzehnjähriger starb. Damit existierte kein männlicher Thronerbe mehr, und Maria Tudor (1553-1558), Heinrichs VIII. Tochter aus dessen erster Ehe mit der spanischen Prinzessin Katharina, bestieg den Thron. Die „blutige Maria“ („Bloody Mary“) versuchte vergeblich, in England wieder den Katholizismus einzuführen. Als sie schon 1558 kinderlos starb, folgte ihr Heinrichs Tochter Elizabeth (1558-1603), die aus dessen zweiter Ehe mit der Engländerin Anne Boleyn stammte. Das Pikante daran war, dass Heinrich VIII. Anne Boleyn am 19. Mai 1536 wegen angeblichen Verrats hatte hinrichten lassen, sicher auch deshalb, weil auch sie ihm keinen Sohn geboren hatte. Elizabeth galt vielen (vor allem im katholischen Lager) als Kind einer nicht von Rom anerkannten Ehe und damit als illegitim in Abkunft und Thronanspruch. Unter diesem Stigma litt sie sehr. Als die übel Beleumundete 1558 den Thron bestieg, meldete auch die schottische Königin Maria Stuart als angeblich „erste“ Erbin Heinrichs VII. Ansprüche auf den englischen Thron an.
Elizabeth I. besteigt den englischen Thron
Wenn sich die Engländer 1558 aber gegen Maria Stuart entschieden und Elizabeth anerkannten, so lag dies vor allem daran, dass Maria seit 1548 im katholischen Frankreich aufgewachsen war und 1558 den französischen Thronfolger geheiratet hatte. Die Thronbesteigung Maria Stuarts hätte also das gerade protestantisch gewordene England quasi zu einem „Nebenland“ Frankreichs gemacht, des Frankreichs, gegen das England 1339-1453 den „Hundertjährigen Krieg“ geführt hatte. Außerdem befürchteten die Engländer, dass eine katholische Herrscherin die rigide Religionspolitik der „blutigen Maria“ fortsetzen könnte. Elizabeth wurde also 1558 Königin, hatte aber die Verpflichtung, ihre Stellung durch Erfolge zu festigen, da ihr jederzeit die Absetzung drohte, mit dem Vorwand, sie sei offenbar doch nicht die „rechte“ Königin gewesen. Maria Stuart wurde auch sonst nicht gerade vom Glück verfolgt: Ihr Mann Franz II. regierte nur wenige Monate (1559/60), so dass machte sie mit 18 Jahren Witwe wurde und den französischen Thron für ihren Schwager Karl IX. räumen musste, um den schottischen Thron wurde bis 1560 ein Bürgerkrieg geführt, in dem sich die Engländer auf die andere Seite stellten, da Elizabeth I. ihre Rivalin schwächen wollte. Der Vertrag von Edinburgh, den Maria allerdings nie anerkannte, verwehrte ihr den englischen Thron, konnte aber ihren Amtsantritt als Königin von Schottland 1561 nicht verhindern.
Maria im Spannungsfeld der Clankämpfe in Schottland
Die Nachwirkungen dieses Ereignisses sorgten jedoch dafür, dass die junge und unerfahrene Maria in ein Intrigenspiel verwickelt wurde, in dessen Zentrum rivalisierende schottische Clans (protestantisch und katholisch) um Macht und Einfluss im Land rangen. Maria geriet nolens-volens in das Zentrum des Mordes an ihrem zweiten Ehemann. Bis heute streiten Historiker darüber, ob und wie viel sie von der bevorstehenden Bluttat gewusst hat. Schon damals fehlte es ihren Gegnern nicht an Findigkeit, ihr schuldhaftes Verhalten nachweisen zu wollen. So tauchten rätselhafte Schreiben angeblich aus der Hand Marias auf (die so genannten „Kassettenbriefe“), die nach heute meist vertretener Meinung aber Fälschungen oder zumindest manipuliert waren. Auch wenn sie daran interessiert war, dass Darnley, der sich als unfähig und willensschwach erwiesen hatte, Macht und Einfluss verlor, war es vermutlich weder ihre Absicht noch geschah es mit ihrem Einverständnis, dass ihr Gatte einen gewaltsamen Tod fand. Gleichwohl musste es schon damals eigenartig erscheinen, dass sie nach kurzer Zeit Darnleys mutmaßlichen Mörder Bothwell heiratete. Der Rest ist schnell berichtet: Die wieder aufflackernden Kämpfe und Unruhen führten zur Flucht Bothwells nach Skandinavien und zur Internierung Marias durch schottische (protestantische) Lords. Man zwang sie, zugunsten ihres unmündigen Sohnes als schottische Königin abzudanken (was sie nie als rechtsgültig anerkannte). Nun aber hatte sie neben dem französischen und dem (angestrebten) englischen auch den schottischen Thron verloren.
Geglückte Flucht nach England – in Gefangenschaft und Tod
Dann aber gelang Maria mit Hilfe von Vertrauten die dramatische Flucht, und sie suchte Schutz und Unterstützung in England – bei ihrer „guten Schwester“ Elizabeth. Die aber – ihrem Ruf als starke und mächtige Herrscherin zum Trotz – schwankte und zögerte, wie sie Maria zu behandeln habe. Politische Rücksichten und das ewige Kalkül, nichts zur Schwächung der eigenen Position zu unternehmen, leiteten sie nun über viele Jahre in ihrem Verhalten Maria gegenüber. Zu einer Begegnung der beiden ist es nie gekommen. Maria aber geriet schließlich in das Finale eines Intrigenspiels, das sie nicht durchschaute, wurde der Verschwörung gegen Elizabeth bezichtigt, verhaftet, eingekerkert und schließlich (1587) hingerichtet.
2. Schillers Drama
An Maria Stuarts Schicksal interessierte Schiller vor allem der dramatische Konflikt, in dem sich Geschichte quasi verdichtet – hier dargestellt in der Auseinandersetzung zwischen den beiden verfeindeten Königinnen kurz vor der Hinrichtung Maria Stuarts 1587. Maria will vor allem erreichen, dass sie (und ihr Sohn Jakob) als Nachfolger der kinderlosen Elisabeth anerkannt werden, während Elisabeth fürchtet, von ihrer potentiellen Nachfolgerin ermordet und dann beerbt zu werden. Das Ringen der beiden Königinnen ist zunächst das Ringen zweier unterschiedlicher Frauen: Elisabeth hat bisher auf eine Heirat und privates Glück verzichtet, um sich mit ganzer Kraft den Staatsgeschäften widmen zu können, sehnt sich aber zugleich nach Zärtlichkeit und Liebe. Als Herrscherin ist sie zwar erfolgreich, aber dennoch innerlich zerrissen. Maria Stuart hat dagegen ihren Gefühlen Raum gegeben. Maria Stuart hatte sich (wie Elisabeth) nach Liebe gesehnt, wie diese aber keine Erfüllung gefunden und zudem ihren Thron verloren, als sie ihr Glück suchte. Das (fiktive) Aufeinandertreffen steht konsequenterweise im Mittelpunkt von Schillers Drama: Im Park von Fotheringhay fordert Elisabeth zum letzten Mal die vollständige Unterwerfung ihrer Rivalin, während diese darauf besteht, als Gleichrangige behandelt zu werden.
Schillers Drama als Staatsaktion
Neben dem Ringen der Königinnen prägt der Kampf der Berater um Macht und Einfluss das Theaterstück, wobei Elisabeths Berater Leicester, Shrewsbury und Burleigh drei unterschiedliche Typen darstellen: Der konservative Shrewsbury steht für streng gesetzmäßiges Handeln und fordert Elisabeth zur Besonnenheit auf – auch bzw. gerade bei der Behandlung Maria Stuarts. Der Macchiavellist Burleigh dagegen versucht der treue Diener einer absolutistischen Herrscherin zu werden – und zu diesem Zweck fordert er Marias Kopf.
Leicester dagegen ist der ehemalige Liebhaber der ältlichen Elisabeth, inzwischen aber der noch jugendschönen Maria verfallen – und verstrickt sich als Intrigant ohne jedes moralische Vorstellungsvermögen immer mehr in seiner Rolle als doppelter Vertrauter zweier Feindinnen. Sein Gegenstück ist der aufrechte Mortimer (eine der wenigen fiktiven Figuren, aber auch eine für Schiller sehr typische, wie z.B. auch Don Carlos). Er spinnt zwar auch Intrigen, doch mit dem eindeutigen Ziel, Maria Stuart aus ihrem Gefängnis zu befreien, wobei er nicht einmal zurückschreckt, als es gilt den eigenen Onkel (Paulet) zu ermorden. Schiller verdeutlicht mit dem Ringen der Höflinge die Auseinandersetzungen bei Hofe um 1600, als sich der Absolutismus anschickte, an die Stelle des mittelalterlichen Feudalismus zu treten. Dieses Ringen zu veranschaulichen war sein eigentliches Anliegen, die äußerst komplexe historische Situation erleichtert ihm dies durch ihre zahlreichen farbenprächtigen Facetten und geradezu atemberaubenden Winkelzüge.
Wolf Nitschke
Anmerkung zur Inszenierung
Schiller führt dem Zuschauer Personen vor, die fast alle auch historische Figuren der Zeitgeschichte waren. Ausnahmen sind „Paulets Neffe“ Mortimer (ein typischer Schiller-Held) oder dessen Freund OKelly. Dennoch bleibt zu betonen, dass die Personen, die uns auf der Bühne begegnen, ästhetische Gestaltungen sind. Das wird nicht nur daran deutlich, dass Schiller Elisabeth und Maria für sein Drama jünger macht. Die historische Maria Stuart (wie sie selbst sich immer in französischer Orthographie (statt Stewart) schrieb) war nach zeitgenössischen Zeugnissen in ihrer Jugend attraktiv und apart; dies trifft nicht mehr für die Maria ihrer letzten Lebensjahre zu. Dennoch legt Schiller Wert auf die Tatsache, dass Maria als junge Frau darzustellen sei, die „Ansprüche machen“ darf. Dies dient u. a. natürlich der Schürung des dramatischen Konfliktes etwa in der Zeichnung der Liebesintrige zwischen Mortimer, Maria und Leicester.
Mit dem Tod der historischen Maria begann der Mythos der schottischen Königin. Zu Lebzeiten, aber erst recht nach ihrem Tode hatte sie leidenschaftliche Anhänger und ebenso erbitterte Gegner. Schiller hat bei seinem Quellenstudium eher die Maria-kritischen Traditionen genutzt (z. B. Buchanan). Aus diesem Grunde verzichten wir auf den Passus in der Beichte Marias (5. Akt), in dem sie sich des Mordes an ihrem zweiten Gatten (Darnley) bezichtigt. Unter Historikern ist dies bis heute Gegenstand des Streites, doch kann man wohl davon ausgehen, dass Maria von der geplanten Ermordung Darnleys nichts gewusst hat. Anders verhält es sich mit dem Babington-Komplott zum Sturz Elizabeths.
Der berühmte Satz Marias „In meinem Ende liegt mein Anbeginn“, mit dem wir das Drama beginnen, stammt nicht aus Schillers Stück. Die historische Maria Stuart hatte ihn einst auf einen Baldachin gestickt – nicht ahnend, wie prophetisch sie damit sein sollte.
Wolfgang Grüne
Zeittafel
1542 | 8. Dez. | Geburt Maria Stuarts in Linlithgow (Schottland) |
13.Dez. | Tod ihres Vaters (Jacob V.) | |
1543 | 9. Sep. | Die neunmonatige Maria wird zur schottischen Königin gekrönt. Ihre Mutter Maria von Guise ist ab 1554 Regentin |
1543 ff. | Immer wieder Unruhen und Gefechte zwischen Schottland und England; Spannungen zwischen den in Schottland mächtigen Clans | |
1548 | Maria wird nach Frankreich gebracht | |
1558 | Maria heiratet den franz. Thronfolger Franz | |
Elizabeth I. wird Königin von England | ||
1559 | Der franz. König Heinrich II. stirbt. Dieser hatte als erster den Anspruch Marias auf Englands Thron formuliert. Fatale Folge: Maria sollte in Zukunft immer wieder diesen Anspruch wiederholen (allerdings auf die Nachfolge Elizabeths nach deren Tod) | |
Franz II. wird König von Frankreich, Maria franz. Königin | ||
1560 | Vertrag von Edinburgh; der Protestantismus wird auf Druck der Clans und des Parlamentes offizielle Staatsreligion in Schottland; daneben verbleiben katholische Clans; auch die Königin bleibt (bis zu ihrem Tod) katholisch. Spannungen in der Zukunft sind vorprogrammiert | |
Dezember | Franz II. stirbt | |
1561 | Ankunft Marias in Schottland | |
Kämpfe ihrer Anhänger mit gegnerischen Clans in der Folgezeit | ||
1566 | Heirat Marias mit Henry Darnley | |
Marias Sekretär und Vertrauter Rizzio wird ermordet, Flucht Marias nach Dunbar | ||
19. Juni | Geburt des Sohnes, später als Jacob I. Nachfolger von Elizabeth | |
1567 | Tod Darnleys unter ungeklärten Umständen; Maria war zwar an seiner Entmachtung interessiert („Pakt von Craigmillar“), es gilt aber eher als unwahrscheinlich, dass sie einen Anschlag wollte oder von diesem wusste | |
Heirat mit Bothwell, dem der Mord an Darnley angelastet wird; Aufstand der Lords gegen Maria und Bothwell | ||
15. Juni | Niederlage bei Carberry Hill; Gefangennahme; Verbringung nach Loch Leven; Maria wird dort zur Abdankung gezwungen | |
1568 | Mai | Flucht aus Schottland nach England |
Konferenz in York (zur Klärung der Mordvorwürfe im Fall Darnley); Auftauchen der (gefälschten?) Kassettenbriefe; der Streit endet ohne Ergebnis, Maria bleibt aber auf Befehl Elizabeths interniert; Verhandlungen um eine Heirat mit dem Herzog von Norfolk. Der wird später in angebliche Umsturzvorgänge verwickelt und hingerichtet. (1572) | ||
1572 | 24. August | Bartholomäus-Nacht“ in Frankreich: Massaker an Hugenotten (bei Schiller: „St. Barthelemi“, 3. Akt) |
1585 | Maria sitzt seit Jahren an verschiedenen Orten in England in Haft; nach einigen Verschwörungen wird zum besonderen Schutz Elizabeths die Gesetzeslage verschärft | |
September | Verbringung Marias nach Fotheringhay Schuldspruch der eingesetzten Kommission: Ausgangspunkt für Schillers Drama | |
1587 | 8. Feb. | Hinrichtung Marias |
1588 | Spaniens Armada geht beim Angriff auf England unter, Siegeszug des britischen Protestantismus um die Welt | |
1612 | Marias Leichnam wird nach Westminster übergeführt. Dort ruht sie wenige Meter neben ihrer Rivalin Elizabeth I. Die Mitglieder der heutigen britischen Königsfamilie sind Nachfahren Maria Stuarts |