Heinrich Spoerl und seine Kleinstadt-Komödien
"Pfeiffer - mit wie viel f?" Wer könnte diesen berühmten Dialog nicht weitererzählen wie die ganze Geschichte vom Johannes Pfeiffer (mit drei f, eis vor dem "ei" und zwei danach"), der - des prominenten Schriftstellerlebens satt - in die Rolle des Oberprimaners schlüpft, um im Provinznest Babenhausen am Humanistischen Gymnasium bei Bömmel, Brett und Professor Crey einen Teil der Schulzeit nachzuholen. Aus der Filmgeschichte ist diese Komödie nicht mehr wegzudenken - nicht nur wegen der ersten Garde der Filmschauspieler, die 1944 unter schwierigen Umständen kurz vor Ende des Krieges vor der Kamera standen: Heinz Rühmann, Erich Ponto, Paul Henckels, Hans Leibelt und andere. Der Roman "Die Feuerzangenbowle" - aus der Feder Spoerls - war allerdings mehr als 10 Jahre zuvor schon einmal mit Heinz Rühmann verfilmt worden (unter dem Titel "So ein Flegel"), verschwindet aber im öffentlichen Gedächtnis hinter der von Rühmann auch als Gesamtspielleiter verantworteten späteren Fassung. Eigentlich schade, denn das alte Komödienprinzip der Verwechslung von Identitäten wird in "So ein Flegel" viel virtuoser betrieben: Da gibt es wirklich zwei Pfeiffers - einen Schriftsteller sowie dessen kleinen Bruder, allerdings als Doppelrolle (Rühmanns Glanzstück) - , und jeder schlüpft in die Rolle des jeweils anderen und spielt sie aus- hin und her bis zur Lösung des Knotens.
Rühmann und Spoerl - ein gutes Gespann
Rühmann und Heinrich Spoerl - das war eine nicht nur für die "Feuerzangenbowle" fruchtbare Zusammenarbeit. Spoerls (Jahrgang 1877) Helden waren die typischen Rühmann-Rollen, der sogenannte kleine Mann im eher kleinbürgerlichen Milieu, der in den Tücken des Alltags seine Kämpfe ausficht, strauchelt, nicht fällt, am Ende oft genug seinen Weg (und sein Mädchen) findet. Diese Affinität führte die beiden auch zu direkter Zusammenarbeit, wobei Spoerl auch für den 1936 gedrehten Film Wenn wir alle Engel wären ebenso den Stoff beisteuerte wie für Der Gasmann (1941 gedreht). Hier wie da spielt Rühmann liebevoll beobachtete und dargestellte Charaktere, Staatsdiener beide, deren private Eskapaden (übrigens rührend harmlose) sie in große Schwierigkeiten bringen, klein beginnend, wie ein Schneeball wachsend, um im entscheidenden Moment in einer witzigen Gerichtsverhandlung glücklich aufgelöst zu werden.
Man sollte sich freilich davor hüten, das kritische Potential bei Spoerl nur auf diesen Bereich beschränkt zu sehen. Er war kein Satiriker, von dem die Machthaber des NS-Staates sich irgendwie durchschaut oder gar entlarvt sehen mussten. Es ist aber schon beachtenswert, wie im Rahmen dieser Alltagsgeschichten z. B. der Affirmation im Verhalten der Menschen ihrer jeweiligen Gesellschaft gegenüber zum Objekt des Spotts wird - so etwa in der staatsergebenen Begeisterung von Treskows für den "allergnädigsten Landesherrn". Immerhin musste auf Weisung von oben in Der Gasmann die berühmte Stelle, in der Rühmann angesichts eines zahlungsunwilligen Kunden ausruft: "Na dann : Heil Hitler" , durch "Na, die hat Sorgen" nachsynchronisiert werden. Überhaupt war dieser Stoff und seine Verfilmung durchaus eine ironische, in vielen Teilen karikaturhafte Auseinandersetzung mit der Bürokratie im NS-Staat und nicht so harmlos, wie er manchen heute zu sein scheint; und der Film hatte einige Hürden zu überspringen, bis er in die Kinos kommen konnte.
Das Gericht als Schauplatz war Spoerls besondere Domäne, war er doch eigentlich ausgebildeter Rechtsanwalt, der sich aber bereits vor 1945 und in der Nachkriegszeit zu einem der populärsten deutschen Unterhaltungsschriftsteller mauserte. Die Komik seiner Gerichtsszenen ist hinreißend - ein Grund für uns, in den "Maulkorb" eine seiner berühmten Vereidigungsszenen mit einzubauen.
Von Treskow auf den Spuren Chlestakovs und des Dorfrichters Adam
Der Maulkorb spielt im Gegensatz zum Milieu anderer Stoffe eher im großbürgerlichen Bereich, in der Welt des nach oben strebenden Staatsanwaltes Treskow. Interessanterweise ist dieser Stoff nie mit Heinz Rühmann verfilmt worden (es gibt Verfilmungen z. B. mit O.E. Hasse), Rühmann aber hat die Rolle des engagiert und verbissen gegen den Maulkorb-Frevler ermittelnden Staatsanwalt allerdings gern und öfter auf dem Theater zum Besten gegeben. Am Morgen nach durchzechter Nacht in der Weinschenke "Tigges am Treppchen" bekommt Herbert von Treskow einen - wie er glaubt für seine Karriere entscheidenden - Auftrag: In der Nacht ist das Denkmal des allergnädigsten Landesherrn, der sich unfreundlich und herablassend über Kritiker aus dem liberalen Lager geäußert haben soll, mit einem Maulkorb verunziert worden. Ein unerhörter Affront! Treskow setzt alles daran, diesen hinterhältigen Anschlag aufzuklären…
Natürlich spielt auch Spoerl - wie alle Komödiendichter - das alte Spiel mit Sein und Schein, Verwechslung und Identifizierung, Wahrheit und Trugbild - und wie bei so vielen Komödien speist sich die Komik aus dem Wissen der Zuschauer, welche Überraschung für die Figuren auf der Bühne hinter der nächsten Wegbiegung lauert. Einer der großen Ahnen von Treskows in dieser Reihe ist Der Revisor von Nikolaj Gogol', in dem der große Autor und Zeitgenosse Puschkins die gesamte "Elite" einer russischen Provinzstadt der Lächerlichkeit preisgibt, weil sie einen reisenden, abgebrannten Tunichtgut für den angekündigten Regierungsrevisor hält und hofiert, der seinerseits meint, das Verhalten der Kleinstädter so deuten zu müssen, dass man ihn hinter Schloss und Riegel bringen will, weil er die Zeche im Gasthaus geprellt hat. Doppeltes Verwechslungsspiel also! Und in der Ahnengalerie findet man natürlich ebenso schnell den Dorfrichter Adam, derber natürlich als unser Staatsanwalt, ebenso aber Opfer eines fatalen Gedächtnisverlustes auf Grund zu ausgiebigen Alkoholkonsums. Die bösen Überraschungen birgt dann der kommende Tag! Und da gibt es für Herbert von Treskow eine gewaltige Überraschung, die seiner harrt. Und wie der sprichwörtliche Krug bei Heinrich von Kleist zerbrechen auch für den Protagonisten im Maulkorb manche Illusionen und Selbstsicherheiten.
Turbulente Tage und Stunden für den Staatsdiener aus einem rheinischen Provinzstädtchen mit Ambitionen nach oben - Stoff für eine wunderbare Unterhaltung, zu der wir Sie alle von ganzem Herzen einladen wollen. Also: Vorhang auf für den Hund des Staatsanwaltes und seinen Maulkorb.