Romeo und Julia

Prolog
Johann Wolfgang von Goethe

Aus: Rede zum Shäkespears Tag 1771„Die erste Seite, die ich in ihm las, machte mich auf zeitlebens ihm eigen, und wie ich mit dem ersten Stücke fertig war, stund ich wie ein Blindgeborener, dem eine Wunderhand das Gesicht in einem Augenblick schenkt. Ich erkannte, ich fühlte aufs lebhafteste meine Existenz um eine Unendlichkeit erweitert; alles war mir neu, unbekannt, und das ungewohnte Licht machte mir Augenschmerzen....“

"Die ganze Welt ist Bühne und alle Fraun und Männer bloße Spieler"

Jede Epoche hat das bei Shakespeare gefunden, was sie suchte, womit sie konfrontiert werden wollte. Bereits zu seinen Lebzeiten war Shakespeare sehr erfolgreich, ein Schauspieler , der schreibt, ein Emporkömmling, der den Erfolg an sich reißt - so jedenfalls beurteilten ihn seine gebildeten Zeitgenossen. Bis heute ist das so geblieben und man ist sich einig, daß Shakespeare der größte Genius des Welttheaters ist.
Zeitlosigkeit und Aktualität sind nicht zuletzt der Existenz und dem Einfluß des Films zuzuschreiben; filmische Adaptionen eines Kenneth Branagh, zum Beispiel – oder die moderne Version der Romeo und Julia Fabel in der West Side Story belegen dies.

Wer hat Romeo und Julia geschrieben?

Ist Shakespeare wirklich der Verfasser der unter seinem Namen entstandenen Werke? Seit dem 19. Jahrhundert taucht die Frage auf, ob Shakespeare nur ein Deckname für einen Gelehrten seiner Zeit gewesen ist. Anthony Burgess, englischer Romanautor und Kritiker (1917-1993) hat diese Frage so gestellt: wenn wir die Wahl hätten zwischen zwei Entdeckungen, einem unbekannten Drama von Shakespeare oder einer seiner Wäschereilisten -, wir würden uns alle auf der Stelle für die schmutzige Wäsche entscheiden.
Es gibt leider nur wenige Anhaltspunkte, die uns nachweislich biographische Daten aus Skakespeares Leben liefern. Heutzutage kann jedermann, der glaubt einen Namen zu haben, eine Biographie schreiben (lassen). In der Elisabethanischen Zeit war es unmöglich, von einem Dichter eine Biographie zu verfassen; würdig einer solchen waren nur Heilige und Helden. Einer der wenigen Hinweise findet sich bei einem anglikanischen Prediger – Thomas Fuller. Seine Sammlung `History of the Worthies of England‘ ist 1662 erschienen. Er berichtet dort über die Großen in Englands Grafschaften und erwähnt Shakespeare in Warwickshire :
His learning was very little, nature made him so highly talented‘
Woher nimmt ein wenig gebildeter Mann, der nur eine kurze Schulbildung genoß, seine Ideen, seine Sprachkraft?
Die Stoffe, die Shakespeare in seinen Stücken verarbeitet hat, sind bekannte Erzählungen seiner Zeit; die Tragödie von Romeo und Julia hat weite, verschlungene Wege zurückgelegt, bis sie zu Shakespeare gelangte – auch der Schlaftrunk ist seit der Spätantike bekannt.
Nach den Jahren der Pest, die in London wütete(1592 – 1594) und der notwendigen Schließung der Theater entstand seine erste, sehr erfolgreiche Tragödie Romeo and Juliet etwa 1595/96. Die Geschichte der beiden Liebenden in Verona fand Shakespeare unter anderem in einem italienischen Novellenband von Bandello, und sehr wahrscheinlich in dem Versepos `Romeus and Julietta‘ (1562) von Arthur Brooke. Shakespeare, der nachweislich niemals in Italien war, erhielt Unterstützung in allen Italien Angelegenheiten von John (Giovanni) Florio, einem Übersetzer und Gelehrten italienischer Herkunft, dessen berühmte Übertragung der Essays von Montaigne deutliche Spuren in Shakespeares Werk hinterließ.Die Tragödie der Liebenden von Verona lebt nicht zuletzt von der besonderen Atmosphäre, die nur in Italien denkbar ist.
Leben – Liebe – Tod gehören in Shakespeares Werken immer zusammen – die Liebe ist das eigentliche Thema in diesem Drama. Tod und Leben werden unbedeutend im Besitz des geliebten Menschen, die reinste Erfüllung wird an der Welt zerbrechen.
Romeo, ein wohlgeratener Durchschnittsmensch, vermag uns – durch die Liebe über sich hinausgewachsen – zu fesseln.Am Anfang spricht Romeo von `Love‘ wie seine Freunde, später spricht er nur noch mit ihr und sich selbst darüber – mit einem gänzlich veränderten Sinn.
Julia ist die weibliche Entsprechung und Ergänzung für Romeo, das vorbestimmte Du für das Ich des Geliebten.Die Tragödie entsteht aus der Unvereinbarkeit einer bedingungslosen Liebe mit der kühlen, verständnislosen Umwelt.

Julia:

Willst du schon gehen? Es ist noch gar nicht Tag: Es war die Nachtigall und nicht die Lerche; Die drang dir in dein furchterfülltes Ohr. Allnächtlich singt sie dort auf dem Granatbaum: Glaub mir, mein Lieb, es war die Nachtigall.

Romeo:

Die Lerche wars, des Morgens Herold; nicht Die Nachtigall. Sieh, Lieb, die neidischen Streifen Dort am Gewölk, das sich im Osten teilt! Das Nachtlicht ist verbannt: der muntre Tag Reckt sich schon hoch auf dunstigen Bergesspitzen. Mein Leben heißt jetzt Gehen, mein Bleiben Tod. III, 5;

Übersetzung: Fried

 Shakespeare hat der Wirklichkeit Sprache gegeben, alle Farben, alle Töne, alle Pracht hat er in seine Verse gelegt. Die Notwendigkeit des Schicksals und bloßes Unglück – unabwendbares Geschick und unglücklicher Zufall sind unlöslich miteinander verflochten. Wir brauchen nichts in Shakespeare hineinzulegen, um unsere Welt in der seinen wiederzufinden. Wie er sich in die verschiedensten Menschen zu verwandeln vermochte, so atmen in ihm auch vergangene und künftige Zeiten.

"He was not of an age, but for all." (Ben Jonson)

Almuth Strelen