ERROR: Content Element with uid "1272" and type "mask_comic" has no rendering definition!
Die Idee der Revolte bei Camus
Wie ein roter Faden zieht sich die Idee des Absurden durch das Werk Albert Camus'. In seiner Abhandlung "le Mythe de Sisyphe" (Der Mythos von Sisyphos) offenbart er seine Vorstellung vom absurden Sein des Menschen in der Welt.Der mythologische Sisyphos ist Camus' "wahrhaft absurder Held": von den Göttern gestraft, ist er dazu verdammt, unablässig einen Felsblock einen Berg hinaufzuwälzen, der, jedesmal aufs neue, kaum oben angelangt, schon wieder den Berg hinabrollt.
Die Sinnlosigkeit dieses Tuns vermag es nicht, Sisyphos zur Verzweiflung zu bringen: Er behauptet sich und beweist damit seine einzigartige Würde. Doch der Ursprung des Phänomens des Absurden bleibt allgemeiner:
"Das Absurde entsteht aus dieser Gegenüberstellung des Menschen, der fragt, und der Welt, die vernunftwidrig schweigt."
Das ist es also. Möglicherweise ist damit die Tatsache, daß es keine letztlichen Wahrheiten gibt, ihre einzige Ausnahme. Wie nun leben nach der Annahme einer so radikalen Erkenntnis, nach dem Verzicht auf jede metaphysische Sinngebung des Daseins? Das Schicksal des Menschen ist es, leiden auf sich zu nehmen in einer Welt - so Camus -ohne Sinn und ohne Gott. Doch hat der Mensch die Mög- lichkeit, dieser Misere zu entgehen. Seine dazu notwendige Haltung ist die Auflehnung gegen das Absurde -die Revolte. Wenn Diego erkennt, daß er mit seinem Schicksal nicht allein ist, identifiziert er sich mit den anderen leidenden Mitmenschen und handelt dementsprechend.
"Ich sagte Nein mit all meiner Kraft. Zwecklose Auflehnung, denn, wie die Grabsteine uns belehren, vergeht das leben ,col soIlevante col sol cadente'. Aber noch heute sehe ich nicht ein, wie das Zwecklose meine Empörung herabmindern soll, und fühle genau, wie es sie bereichert."
(A. Camus in "Die Wüste")
Um nun allgemeiner zu sprechen, stellt in der Sicht des Existentialismus das Da-Sein für das Indidivuum keine selbst gewählte Situation dar. Sie ist vielmehr bestimmt durch natürliche, historische, kulturelle und politische Faktoren, die frei austauschbar sein können. Um nun zu einem Selbst-Sein zu gelangen, das sich als Existenz vom bloßen, nicht selbst gesetzten Da-Sein unterscheidet, muß sich der Mensch auflehnen. Diese Realisierung hat er als Aufgabe in der Freiheit zu leisten, er ist, um mit Sartre zu sprechen, "zur Freiheit verurteilt".
Prometheus erscheint hier als der klassische Held, der den Göttern das Wissen um das Feuer stiehlt, und sich damit quasi - aus Sol idarität -selbst opfert. Doch, so Camus, habe man sich zu hüten vor einem vorgegebenen "absoluten Sinn". Die dahinter verborgenen drohenden Gefahren sollen im Folgenden näher betrachtet werden.
"Was ist gut? - Alles, was das Ge fühl der Macht, den Willen zur Macht selbst im Menschen erhöht. Was ist schlecht? - Alles, was aus der Schwäche stammt. Was ist Glück? - Das Gefühl davon, daß die Macht wächst ... Nicht Zufriedenheit, sondern mehr Macht; nicht Friede überhaupt, sondern Krieg; nicht Tugend, sondern Tüchtigkeit ."
Diese Worte stammen aus Nietzsches Werk "Der Wille zur Macht". Auch hier wird indirekt zu einer Revolte aufgerufen. Einer Revolte, die durchdrungen ist von dem pervertierten Bestreben der maßlosen Verwirklichung irriger Machtgelüste. Eine offensichtliche "Fehlform" der Revolte.
Nach der Verhängung des Belagerungszustandes organisiert, konzentriert, verwaltet, kurz: regiert -die Pest. Ihre willkürliche Amtsvollstreckung findet Ausdruck in kaum darstellbarer Menschenverachtung. Die Vorstellung Sartres, daß der Mensch "zur Freiheit verurteilt" sei, wird hier umgekehrt: er ist nunmehr "schuldig, regiert zu werden".
"Wonach der Eroberer der Rechten oder der linken trachtet, ist nicht die Einheit, denn die Einheit besteht vor allen Dingen aus der Harmonie der Gegensätze, sondern die Totalität, denn sie bedeutet die Ausmerzung der Unterschiede."
(A. Camus: "Actuelies I")
Die andere Fehlform der Revolte mündet im Nihilismus: In der Vorstellung ihres Ursprungs im Absurden und der Solidarität verlustig gegangen, strebt sie nach Verwirklichung eines anderen absoluten Endziels: Abschaffen um jeden Preis. Nach der Erkenntnis der Sinnlosigkeit allen Seins und der Austauschbarkeit aller Werte in einer gottlosen Welt wird die Freiheit als Aufgabe, Selbstsein und damit die eigene Existenz zu verwirklichen, in unüberwindbarer Gleichgültigkeit verleugnet. Wenn Nada behauptet: "Gott leugnet die Welt, und ich leugne Gott. Es lebe Nichts, da es doch das einzige ist, das existiert!", so hat er nach Camus' Vorstellung noch nicht unbedingt unrecht, doch die Konsequenzen, die er aus dieser Feststellung zieht, bleiben an der Oberfläche.
Zur Verdeutlichung sei an dieser Stelle Dostojewskijs Iwan Karamasow herangezogen, auf den sich Camus häufiger bezieht. "Alles ist erlaubt!" -schreit dieser. Doch ist dies keine Erlösung, sondern vielmehr eine bittere Feststellung. Nicht gemeint ist damit, daß nichts verboten wäre. Dieser Rückschluß wäre naiv -ebenso wie die Empfehlung, Verbrechen zu begehen. Statt einer Befreiung begegnet man hier einer Bindung: "Alles ist erlaubt!" ist keine Rechtfertigung aller Handlungen -diese Aussage gibt nur den Folgen jener Hand- lungen ihre Gleichwertigkeit: Der Mensch ist gezwungen, für seine Taten oder Unterlassungen die volle Verantwortung zu übernehmen.
"Es gibt nur ein wirklich ernstes philosophisches Problem: den Selbstmord. Die Entscheidung, ob das leben sich lohne oder nicht, beantwortet die Grundfrage der Philosophie [...] Wenn ich mich frage, weswegen diese Frage dringlicher als irgendeine andere ist, dann antworte ich: der Handlungen wegen, zu denen sie verpflichtet."
(A. Camus, "Der Mythos von Sisyphos")
"Für mich liegt die einzig wichtige Aufgabe in einer Wiederherstellung eines Verantwortungsbewußtseins des Menschen gegenüber dem eigenen Schicksal. Der Mensch muß zum Begriff seiner eigenen Seele zurückfinden, zum leiden dieser Seele, zum Versuch, sein Handeln in Einklang mit dem eigenen Gewissen zu bringen. Er muß es wieder akzeptieren lernen, daß sein Gewissen keine Ruhe geben kann, wenn der lauf der Ereignisse in Widerspruch zu dem gerät, was er selbst darüber denkt. Das leiden an der eigenen Seele läßt den wah- ren Stand der Dinge erspüren, provoziert Verantwortung und das Bewußtsei n eigener Schuld."
(Andrej Tarkovskij; 1932 -1986)
Andreas Regelsberger